Von Steffen Hilger
Erst war ich mir gar nicht sicher, ob ich starten sollte, oder lieber ein schönes Wochenende am Fels verbringen. Doch dann wurde die Süddeutsche Meisterschaft im Lead-Klettern doch ein ganz besonderes Ereignis für mich. Als ich mir die beiden Qualirouten ansah, hatte ich schon ein leichtes Grinsen im Gesicht.
Die erste war nämlich senkrecht mit kleinen Leisten und gelben Volumen geschraubt. Im Wettkampf-Sprachgebrauch also eine „Platte“. Um mich herum hörte ich schon die anderen Herren sich beklagen: „Oh Mann, wieso haben wir denn die blöde Platte?!“ Doch ich freute mich insgeheim, denn ich wusste, das ist genau meine Tour!
Und so wars dann auch. Der Einstieg schön leicht zum Reinkommen und dann ein paar wackelige Seitgriffpassagen und „Aufsteher“. Ich kam bis zum Top und fühlte mich richtig wohl in der Route. Das gibt einem schonmal ein sehr positives Gefühl.
Die zweite Route war gänzlich anders geschraubt. Sie führte mit lila Griffen durch den steilen Überhang des Neu-Ulmer Sparkassendoms. Hier war Entschlusskraft und Ausdauer gefragt! Die kräftigen und teils dynamischen Züge im Mittelteil konnte ich überklettern und Ausdauer war genau meine Stärke. Ich kletterte auch hier bis ganz nach oben! Ich war super überrascht mit meiner Leistung, da ich in der Vorwoche noch erkältet im Bett lag. Doch es war nicht die Fitness an sich, sondern mein Kopf, der mich so weit klettern lies. Mit einem freien Kopf ohne Erwartungen erziele ich die besten Ergebnisse. Ich war vollkommen zufrieden und super glücklich, dass es so gut lief.
Somit stand ich auf dem ersten Platz mit 4 weiteren Athleten, die sich ebenfalls 2 Tops geholt hatten. Die Entscheidung zwischen uns sollte am nächsten Tag im Finale fallen.
Im Finale wird onsight geklettert. Das bedeutet, man darf niemandem in der Route zuschauen. Man kann sich die Griffe nur vom Boden aus ansehen, um sich die möglichst korrekte Grifffolge zu überlegen. Bei der Besichtigung ging ich die Tour mit meinem Kletterfreund Maxi Zwicklbauer gemeinsam in Gedanken durch. Uns fielen große rote Volumen auf, die in der steilen Wandneigung bestimmt schwierig zu halten sein werden.
Auch ein weiteres Detail ist mir nicht entgangen. Die Routenbauer hatten die vorletzte Expressschlinge weggeclippt, sodass man diese auslassen musste. Dann gings auch schon wieder hinter den Vorhang in die Isolation. Ich dachte nochmals genau über die Route nach. Der untere Teil sah nicht sonderlich schwer aus und mir wurde klar, dass ich wohl oder übel in den weiten Hakenabstand hineinklettern werde…
Doch dann wurde ich auch schon vom Kommentator Cristoph Gabrysch aufgerufen: „Nächster Starter bei den Herren ist Steffen – the drop knee – Hilger aus Purfing!“
Und ehe ich überlegen konnte, war ich auch schon in der Route drin. Unten musste man gleich einen weiten Zug von einem schlechten Sloper weg machen. Doch ich sah das große Schraubenloch in dem Griff und nahm es als Einfingerloch. So konnte ich ganz stabil zum nächsten Griff ziehen. Ein Raunen ging durchs Publikum, aber alle wussten, dass dies vollkommen erlaubt ist. Dann folgte auch schon die nächste Herausforderung. An den großen Schalen musste ich weit nach links rüber clippen. Beim dritten Versuch, die Schlinge einzuhängen, bekam ich gerade so noch das Seil rein. „Puuuh! Das hat Kraft gekostet. Schnell weiter, bevor die restliche Power weg ist!“, dachte ich mir.
Jetzt hieß es ballern! Weite Züge an Slopern durch den steilen Überhang forderten Kampfgeist und ich war voll im Modus! Plötzlich fiel mir auf, dass ich schon mitten im weiten Hakenabstand drin bin. Ich hatte sogar die darüberliegende Exe schon vor der Nase. Kurz fühlte ich die stabile Clippposition, doch mir wurde bewusst, dass ich diese nicht mehr einhängen konnte.
Die letzte Zwischensicherung lag weit unten, unsichtbar hinter einem Volumen versteckt. Wenn ich jetzt daran denke, fangen meine Hände sofort an zu schwitzen. Ich holte mir den nächsten Griff noch und segelte durch die ganze Halle! Gefühlt hörte der Sturz nie auf, dann stand ich schon wieder sicher auf dem Boden.
Die anderen Athleten kletterten teilweise noch ein, zwei Griffe weiter, aber das Top erreichte niemand. Es war also eine super knappe Geschichte dort oben, wobei sich alles im Kreis von zwei, drei Griffen entschied. Am Ende wurde ich 3. in der Bayerischen und 7. in der Süddeutschen Meisterschaft. Damit habe ich mich auch für die Deutsche Meisterschaft im November in Hilden qualifiziert. Doch was letztlich zählt ist nicht die Platzierung, sondern dieses starke Erlebnis für mich! Es hat sich also voll gelohnt hier zu starten! ?