Von Flo Wientjes
Vor nunmehr 5 Jahren sah ich zum ersten Mal das Video von Carlo Traversi, in dem er das lang ausstehende Boulderpojekt links von Vecchio Leone im Tessin, erstbegehen konnte. „The Kingdom“ war geboren und Carlo gab ihm den magischen Grad 8c.
Zu dem Zeitpunkt war auch Jimmy Webb in der Schweiz auf Beutezug und entlockte dem Boulder die erste Wiederholung. Zitat: ”Since it’s basically my anti style I think it may sit more in the 8B+ range. Either way, a rad problem!!” (Quelle: 8a.nu)
Über die Jahre hinweg, stieg die Lust immer mehr den Boulder probieren zu wollen und Ende Januar war es dann endlich soweit. Ich fing an den Boulder das erste Mal zu projektieren.
Nach meiner ersten Session wurde mir klar, dass „The Kingdom“ vollkommen meinem Kletterstil entsprach. Zwei brutale Schulterzüge über sehr nahe abschüssige Tritte sind die Crux und definitiv etwas, was ich relativ gut kann.
Nach meiner zweiten Session, hatte ich alle Einzelzüge entschlüsseln können und fing an, Einzelzüge zu Sequenzen zu verbinden.
In der dritten und vorerst letzten Session, gelangen mir schon ziemlich gute Versuche bei denen ich zumindest die ersten drei Züge linken konnte. Leider war danach mein Kurztrip zu Ende und ich musste schweren Herzens wieder zurück nach München fahren.
Es folgte ein Monat voller Ups and Downs: Wenig Zeit zu trainieren, Entzündung im Ellenbogen und ein Motivationstief. Als ich Anfang März wieder ins Tessin fuhr, hatte ich wenig Hoffnung auf Fortschritt – geschweige denn auf den Durchstieg.
Als ich am Morgen des 3. März aufwachte, dachte ich mir: Ach du Sche***e.
Meine Haut schmerzte, ich fühlte mich schlapp und es hatte rund 15 Grad vor der Tür. Meine Lust auf schwer bouldern hielt sich dementsprechend in Grenzen. Am Nachmittag, nachdem ich ein paar leichtere Boulder machen konnte, fing es an stark abzukühlen und meine Lust auf „The Kingdom“ kam schlagartig wieder zurück. Also lief ich zu dem Boulder und fing an mir die Züge nochmals anzuschauen. Ziemlich schnell war der morgendliche Pessimismus verflogen und nach nur ein paar Go’s gelang mir ein neuer persönlicher Highpoint. Zu diesem Zeitpunkt wäre der Trip vollkommen erfüllend gewesen, doch der Ehrgeiz gebot mir weiter Versuche zu setzen.
Langsam kam die Dämmerung und mit ihr die Feuchtigkeit. Nachdem ich unerwartet vom 2. Griff rutschte, wurde mir klar: ich hab genau noch einen Go bevor es zu feucht werden würde. Also noch einmal einchalken, sammeln und los. Was nun folgte, war wie ein Rausch und als ich den letzten schweren Zug schaffte, realisierte ich erst, was hier eigentlich gerade passierte. Ich war dabei, einen meiner schwersten Boulder überhaupt durchzusteigen. Es kostete mich all meine Konzentration, mich weiterhin auf den leichten Ausstieg zu fokussieren und mich nicht hinreißen zu lassen und womöglich Fehler zu machen.
Als ich dann auf dem Block stand begriff ich: “Verdammt ich habs gepackt. Ich hab mir gerade die dritte Begehung von „The Kingdom“ abgeholt” und die Freude überströmte mich in vollen Zügen.
Was für eine geile Linie, mit der ich mein Verlangen nach Bestätigung meines Kletterkönnens endlich erfüllen konnte.