Von Steffen Hilger
Als es um die Reiseplanung für einen Klettertrip im Februar ging, blieb ich bei der Internetrecherche bei einem Video hängen. Es war eine lange Route an bläulichen Sintern entlang in Oliana. Ab diesem Zeitpunkt wusste ich, wo ich unbedingt hin wollte!
Kurz darauf bemerkte ich den Schwierigkeitsgrad 8c+ dieser Route namens „Mind Control“ und das Funkeln in meinen Augen fand ein jähes Ende.
„…aber ich muss doch zumindest mal reinschauen!“, dachte ich mir.
Ein paar Wochen später gings dann mit Terry und meinem neuen VW-Bus los in Richtung Spanien. Nach Siurana, Terradets und den Mallos de Riglos kamen wir schließlich an unseren letzten Tagen noch nach Oliana, denn ich wollte ja nur mal probieren…
45 Meter überhängende Wand- und Sinterkletterei warteten nun auf mich. Zug um Zug boulderte ich die Route aus und kam tatsächlich nach 2 Stunden am oberen Ende der Felsen an und konnte alle Bewegungen auflösen. Vielen Dank an dieser Stelle an die geduldig sichernde Terry!
Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Mein Motto lautet nämlich: „Wenn ich alle Züge hinkriege, dann kann ich das auch durchsteigen.“ Die Züge an sich waren nicht soo superschwer für mich und auch die Griffe nicht so extrem klein, wie man sie im elften Grad erwarten würde. Doch einen Haken gab es – es waren 150 dieser Züge in der ganzen Tour…
Zwei Tage hatte ich noch, und ich versuchte die erste schwere Passage von einem guten Schüttler bis zu dem großen Loch in Wandmitte am Stück zu klettern. Das allein waren schon 25 Bewegungen ohne Pause in steilem Gelände. Zuerst kräftiges „Sintergeballer“ und anschließend weit voneinander entfernte Löcher und Leisten. Nur knapp verfehlte ich das große Loch im Durchstieg und es war leider an der Zeit wieder nach Hause zurückzukehren. Doch ich war mir sicher, dass wenn ich diesen Punkt erreichen würde, ich rasten und ein großes Stück weiter klettern könnte.
Natürlich lies mich die Route daheim nicht los und ich beschloss allein loszufahren, um das Ding zu klettern. Ich würde schon einen Partner finden, hoffte ich. Und tatsächlich, eine bessere Community hätte ich mir wirklich nicht vorstellen können. Gleich am ersten Tag traf ich sie alle:
Eric, den temperamentvollen Italiener, der alle mit seinem „Andale, andale“ anfeuerte,
Will, den wohl gechilltesten („slowly slowly“) Franzosen und Profifotografen,
Vera, die immer strahlende und laut lachende Italienerin,
Fabio, den Physiotherapeuten aus Trieste und natürlich
Toni, den spanischen Fotografen und freundlichen Gastgeber aus Peramola.
Jeden Abend kochten wir zusammen und erklärten uns gegenseitig die Schlüsselstellen unserer Projekte mit Händen, Füßen und in sämtlichen Sprachen. Beispielsweise so: „La regletta a izquerda et the pocket a droit – not good! C’est un Ocho b mas – harrrd!” 😀
Es war echt eine superlustige Zeit zusammen!
Aufgrund der Länge meiner Route, machte ich pro Tag nur einen Versuch, denn der Schatten kam erst spät nachmittags in die Wand. Schnell machte ich Fortschritte. So erreichte ich nun das Loch und kletterte weitere zehn Meter bis zur nächsten Schlüsselstelle ziemlich weit oben. Hier kommt ein weiter Kreuzer aus einer Untergrifftasche an einen Seitgriff. Wenn man diesen erreicht, geht einem total die Tür auf. Ich löste dieses Problem indem ich anschließend einen flachen Tufa links abstützte. Tatsächlich hatte ich im Durchstieg nun auch diese Stelle überwunden. Jetzt wird die Wand zwar immer flacher (immer noch überhängend) aber auch die letzten 15 Griffe immer schlechter und ohne Rastmöglichkeit. Ich war so gepumpt, dass ich kurz vor Schluss einfach nichts mehr festhalten konnte und ins Seil fiel. Eines wurde mir jetzt aber schlagartig bewusst! Ich habs definitiv drauf, muss aber vielleicht eine Exe auslassen, damit mir die Kraft oben raus reicht…
Die folgende Nacht schlief ich extrem schlecht. Immer wieder kreisten meine Gedanken um die letzten Meter. Ich stellte mir vor, wie ich diese Exe nicht clippe und mit dicken Unterarmen weiterklettere. Die Ellbogen gehen vor Anstrengung immer weiter nach oben und auch die nächste Exe kann ich nicht clippen. Ich kämpfe mich weiter von Griff zu Griff, unter den Füßen wehen die langen Schlingen an meinem Seil vorbei, nicht eingehängt. Den letzten Sicherungspunkt kann ich nichtmehr erkennen, bin jetzt hier am Umlenker, doch kann keine Hand mehr loslassen um mein Seil einzuhängen… Die Hand macht ungewollt auf und ich segle in die Tiefe und …wache auf!
Meine Hände nassgeschwitzt, der Puls rast – ich will das nicht! -oder doch?
Die nächsten Versuche klettere ich unter Druck und komme nicht mal mehr zum großen Loch.
Nun wird mir klar, was „Mind Control“ eigentlich bedeutet.
An meinem letzten Tag ist es bewölkt und ich kann den ganzen Tag klettern. Ich möchte es unbedingt heute schaffen! Als ich wieder im Mittelteil scheitere öffne ich meine Wahrnehmung. Ich finde eine neue, leichtere Lösung für mich zum Loch und auch die Exe oben verlängere ich, damit ich nur eine auslassen muss. Zweimal komme ich noch zum Kreuzer ganz oben, aber dann ist auch die letzte Kraft verbraucht. Es geht nach Hause zum Arbeiten. Und auch in der Halle komme ich mir superschwach vor.
Doch ich weiß, dass meine Freunde noch eine weitere Woche in Oliana sein werden und ich bekomme noch ein paar Tage frei. Wieder mache ich mich auf die lange Reise und komme nachmittags am spanischen Felsen an. Ein freudiges Wiedersehen und zwei Aufwärmrouten später, stehe ich vor der Route, hänge mir die Verlängerungsexen an den Gurt und möchte mir die Tour für die den nächsten Versuch optimal präparieren, da klettere ich „Mind Control“ 8c+ einfach durch.
Ohne lange Exen, ohne Exen auszulassen, ohne Angst – einfach so.