von Freddy Petri
Destination #2 – Lago di Garda 2.0
Ich hänge am fettesten Henkel in der ganzen Route, vermutlich der ganzen Wand. Unter mir sind die ersten sechs Exen bereits geklippt. Eine Exe und den Umlenker habe ich noch vor mir. Ich schüttle links. Schüttle rechts. Schüttle links. Hör meine eigene Stimme „F*ck mein Puls schlägt mir bis in den Kopf“. Leichte amüsierte und motivierende Reaktionen von irgendwo über und unter mir. Ich muss Herr über meinen Kopf werden.
Nach unseren Ostertagen in Arco wollten wir eigentlich über den ersten Mai ins Tessin. Doch aufgrund von leichten Diskrepanzen bei der Komforttemperatur, beschlossen wir doch wieder nach Arco zu fahren. Das wir letztendlich wieder in Comano und ich in „Fragole (8a)“ landenten, war eigentlich gar nicht so geplant.
Ich versuche meinen Herzschlag und meine Atmung zu normalisieren. Tief einatmen. Links schütteln. Tief ausatmen. Rechts schütteln. Wie hat mein Trainer immer gesagt: Schütteln nach oben, schlechtes Blut raus, schütteln nach unten, gutes Blut rein. Ich muss nur einigermaßen wieder runterkommen, sodass ich die letzten Züge noch machen kann.
Kennt ihr die entscheidende Durchstiegsfrage, die sich vermutlich schon jeder motivierte Kletterer gestellt hat: „Lieber versuchen das Projekt durchzusteigen oder lieber die Zeit nutzen, um mehrere leichtere Routen/Boulder machen?“ Ich entscheide mit für ersteres.
Am Felsen angekommen beobachten wir erstmal einen anderen Kletterer wie er die Route soooo lässig und mit so wenig Plan und so viel parallelem Gerede einfach hochspult. WOW! Irgendwie motivierend und bisschen deprimierend zugleich. Maxi und ich hängen die Exen in die Route ein. Irgendwie fühlt es sich ganz schön schwer an. Aber nicht unmachbar. Beim Exen einhängen versuche ich an zwei Stellen noch eine andere Variante, die ich mir zuvor bei dem lässigen Kletterer abgeschaut hatte. Funktioniert glaub ich ganz gut! So kann ich mir noch etwas Kraft sparen.
Ich merke wie langsam meine Atmung ruhiger wird. Einatmen. Ausatmen. Links schütteln. Rechts schütteln. Langsam komme ich aus dem absoluten Tunnelblick raus. Ich nehme wieder meine Umgebung war. Unter mir die geschaffte Passage mit dem schweren Boulder und dem anhaltenden Leistengepresche. Das schwerste hinter mir.
Bei meinem ersten Versuch schaffe ich nicht mal mehr den ersten Boulderzug. Puuh ist der heute schwer. Auch der zweite Versuch ging ins Seil. Irgendwie ist meine rechte Schulter heute nicht so fit, habe ich das Gefühl. Der Boulder ist schon sehr maximal für mich. Sowohl in der Kraft als auch in der Länge. Ein Versuch später erreiche ich den Griff nach dem Boulder und kann noch ein paar Züge dranhängen, bevor mich die Ausdauer verlässt. Puh… Ich setzte noch zwei Gos, komme einmal nicht mal über den Boulder hinaus und einmal schmeißt es mich nur wenige Züge vor dem rettenden Henkel raus. Ich lege einen satten Flug hin. Das war wohl der beste Versuch. Hätte ich bloß noch paar Züge geschafft. Ab dem Henkel ist es gegessen. Dann kann man sich runterschüttelten, Zeit lassen und den Rest auch noch mit etwas Konzentration zu Ende bringen.
So jetzt noch einmal ordentlich ausschütteln. Atmung senken und auf das Kommende konzentrieren. Jetzt lass ich mir das nicht mehr nehmen. Es sind nur noch wenige Leisten bis zum Umlenker. Die Züge sind klar und gut machbar. Alles eine Frage des Kopfes und der Ausdauer.
Ich mache nochmal eine große Pause. Es wird langsam kalt und schon etwas später. Lasse mir nochmal die Route durch den Kopf gehen. Wo kann ich noch taktisch klüger klettern, dass mir die Unterarme nicht so schnell aufgehen? Und warum fällt mir heute der Boulder so ungemein schwer?
Ich raff mich auf. Versuche meinen Kreislauf und Körper in Schwung zu bekommen. Das wird wohl der letzte Versuch. Ich steige ein. Kaltpump nach den ersten Metern, wen wunderts. Maxi startet auch nochmal einen Go. Ich habe Zeit warm zu werden und klettern ein paar leichte Züge kurz übern Boden. Jetzt noch einmal konzentriert einsteigen.
Ich bin am Boulderzug, er ist soooo schwer, aber er klappt. Jetzt Füße sortieren und konzentriert und kraftsparend weiter klettern. Die nächsten Züge gehen noch erstaunlich gut. Tief einatmen. Tief ausatmen. Langsam setzt der Pump ein. Ich beginne vor jedem Zug immer die freie Hand einmal ganz kurz für nicht Mal 2 Sekunden in der Luft zu schütteln bevor sie die nächste Leiste erreicht. So arbeite ich mich mit einem Halbpump der immer mehr – aber langsamer als sonst – wächst nach oben. Einfach immer weiter klettern.
Ich erreiche den rettenden Henkel. Woooow. Mein Puls. Meine Arme. Autsch. Ich nehme mir die Zeit bis meine Atmung und mein Herzschlag sich normalisiert haben. Ich werde wieder ruhiger.
Reflektiere kurz, dass ich das schwerste und meiste hinter mir habe. Das hilft mir Motivation zu schöpfen. Claudio hängt oben in der Wand, Maxi sichert mich unten. Beide sprechen mir gut zu. Jetzt heißt es nur noch die letzten Meter konzentriert zu Ende bringen. Ich schau mir nochmal die nächsten Züge an. Und dann klettere ich auch schon weiter. Ich knalle nochmal zwei echt miese kleine Leisten auf. Mache noch einige Züge. Letzte Exe geklippt. Noch einmal Zwischenschütteln.
Jetzt noch mal Füße sortieren und den letzten weiten Zug bis zum Top. Ich klippe den Umlenker. Lass mich ins Seil plumpsen. Die Anspannung fällt ab. Ich kann wieder atmen. Kann wieder denken. Kann wieder reden. Kann wieder Freudenslaute von mir geben. Und ein fettes Grinsen in meinem Gesicht macht sich breit.
Danke an die Crew für die schönen Tage in Arco, die Unterstützung vor allem von Maxi und die mega coolen Fotos von Claudio! Grazie!